Abschalten. Neustart.
Eben diesen Schritt haben Tokio Hotel mit ihrem neuen Album gewagt. Bewusst stoen die Mittzwanziger ihre verbliebenen Altfans vor den Kopf. Nur noch wenig erinnert an den arglosen Gitarren-Pop, mit dem sie sich zugleich als Teenageridole und Feindbilder etablierten. Heute setzt die Band auf elektronische Frickeleien und englische Texte.
Im gleichen Atemzug schaffen sie Lolek und Bolek, die schon immer im Schatten der Kaulitz-Brder standen, ab. Auf den Fotos und in den Videos drfen Fix und Foxi noch dster in die Kamera blicken, auf "Kings Of Suburbia" finden Bass und Schlagzeug jedoch nur noch selten statt.
Mit der Vorabsingle "Love Who Loves You Back" gelingt Bill, Tom, Cap und Capper etwas, womit kaum zu rechnen war: Perlender Champagner-Pop. Eine schlanke und elegante Nichtigkeit, nicht sonderlich aufregend, aber hochgradig eingngig und blitzsauber produziert. Stnde auf dem Cover der Name Empire Of The Sun oder Midnight Juggernauts, wrde so manch einer, der sich momentan das Maul zerreit, den Track bis zum Abwinken abfeiern.
"Run, Run, Run" klingt wie eine frhe Radiohead-B-Seite mit einem ebenso rhrseligen wie dilettantischen Matthew Bellamy-Text. "Tell me how you close the door / No one, nobody can love you more." Nur vom Klavier begleitet, imitiert der pathetische Bill mit schrger und leicht unangenehmer Kopfstimme groe Gefhle und groe Kunst. Letztendlich fehlt dem Stck nur der Feinschliff, Spannung und Brillanz, um einen Kehrtwende im Tokio Hotel-Universum einzuleiten. Das ist mehr, als man je zuvor von einem Song der beiden Zwillinge behaupten konnte.
Doch "Girl Got A Gun" stampft jede Hoffnung auf Besserung ungespitzt in den Boden. Inspiriert von Lady Gaga und Scheie erschaffen Tokio Hotel eine Abscheulichkeit aus Autotune, Fernost-Anleihen, billigen Dubstep-Einflssen und gestriger Effekthascherei. Um diesen Ohrenbluter komplett zu machen, gesellt sich Lyrik-Diarrhoe der belsten Sorte hinzu. "Girl got a gun / Girl got a gun, gun, gun / Girl got a gun / Girl got a gun / Bang! Bang!" Das wre selbst Alexander Marcus zu hohl. Musikalisches Waterboarding, das ohne Anlauf zu nehmen den bisherigen Favoriten "Isso" vom Thron des schlechtesten Songs des Jahres 2014 stt.
Leider orientieren sich die restlichen Lieder auf "Kings Of Suburbia" mehr an "Girl Got A Gun", als an "Run, Run, Run" und "Love Who Loves You Back". Immer wieder kmpft Bills kleines dnnes Stimmchen gegen eine Monsterarmee unseliger Effekte, bis kaum noch etwas Menschliches von ihr brig bleibt.
Selbst an sich vermeidlich vernnftige Ideen walzt die Produktion schonungslos platt. In "Stormy Weather" versuchen sich die Kaulitze, Schulze und Schultze an einer Hello Kitty-Version eines Linkin Park-Songs inklusive Bass Drop. Das Titelstck "Kings Of Suburbia" vermischt zu einem entsetzlich dnnen Sound gleich mehrere Pop-Klischees der 1980er. Eine ranzige Mixtur aus Alphaville, Tears For Fears "Shout" und Depeche Modes "People Are People"-Beat. Zum Abschluss zitiert Bill noch munter Martin L. Gores altehrwrdiges "Never Let Me Down Again"-Finale. Dessen "See the stars, they're shining bright / Everything's alright tonight" wird kurzerhand in "Join me under diamond skies / Everything will be alright" umgetextet.
berhaupt findet sich nichts Eigenstndiges auf Longplayer Nummer vier. Leichtsinnig tauschen Tokio Hotel ihren frheren zweifelhaften Wiedererkennungswert gegen ein groes Nichts, das sie nie zu fllen wissen. Selbst in einem eng abgesteckten Dance-Pop-Umfeld hinkt "Kings Of Suburbia" seiner Konkurrenz mit einem vorgekauten Musikbrei aus angestaubten Versatzstcken um Jahre hinterher. Alles Schlechte auf dieser Platte gab es schon an anderer Stelle in besser. Hinter den Titeln "Feel It All" und "Never Let You Down" verstecken sich zwei seelenlose und schwachbrstige David Guetta-Stampfer. "Louder Than Love" vermischt den 30 Seconds To Mars-Grenwahn mit Coldplays "Ohohoh"-Vokalschleifen.
Eineinhalb verblffend unpeinliche Songs reichen nicht fr eine gelungenen Reinkarnation. Mehr noch als ihre ersten Alben zeigt diese fade Geisterbahnfahrt, dass das Talent fr einen geglckten Kurswechsel schlichtweg fehlt. Die Chance auf einen Neuanfang haben Tokio Hotel mit "Kings Of Suburbia" trotz guter Anstze gehrig versemmelt. Die neuen Kleider der Vorstadtknige sitzen nicht, die Krone hngt ihnen schief ins Gesicht. Sollten die alten Anhnger den neuen Weg nicht mitgehen, bleibt ihnen bis zum nchsten Reboot nur noch der Groll ihrer Hater brig. Georg und Gustav interessiert das freilich wenig, da sich eh niemand ihre Gesichter und Namen merken kann.
[laut.de]